Kooperationspartner Staab Verwaltung informiert – Insolvenzrecht

01.02.2023, Rechtsanwalt Jan-Michael Lippe (Kooperationspartner Staab Verwaltung)

Die öffentlich-rechtliche Verstrickung als Schutzmechanismus für den Pfändungsgläubiger

§ 89 InsO, § 850k ZPO
BGH, Beschluss vom 02.12.2021, IX ZB 10/21

  • Die Verstrickung einer gepfändeten Forderung kann während des Restschuldbefreiungsverfahrens dadurch beseitigt werden, dass das Vollstreckungsgericht die Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung aussetzt, ohne die Pfändung insgesamt aufzuheben (Abgrenzung von BGH, Beschl. v. 2.12.2015 – VII ZB 42/14).

Der BGH ergänzt mit diesem Beschluss seine Entscheidung vom 19.11.2020 (IX ZB 14/20), mit der er bereits gleichlautend für das eröffnete Insolvenzerfahren entschieden hatte.

Rechtliche Bewertung:

Eines der grundlegenden Prinzipien des Insolvenzrechts ist der Übergang von der Einzel- zur Gesamtvollstreckung. Die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger tritt an die Stelle der Befriedigung Einzelner. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Einzelzwangsvollstreckungen in das Vermögen des Schuldners daher unzulässig (§ 89 InsO).

Nicht selten haben Gläubiger allerdings bereits vor Insolvenzeröffnung Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgebracht. Ein typischer Fall ist die Pfändung des Kontos des Schuldners, um so auf künftige Guthaben des Schuldners zuzugreifen. Bei der Pfändung künftig entstehender Forderungen kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Pfändung, sondern auf den Zeitpunkt der Entstehung der Forderung an. Bei einer Kontopfändung kommt es also darauf an, wann das Guthaben bei der Bank entsteht. Zahlungseingänge nach Insolvenzeröffnung unterliegen daher regelmäßig dem Vollstreckungsverbot des § 89 InsO und dürfen nicht mehr an den Pfändungsgläubiger ausgekehrt werden.

Dennoch wird die Bank weder den Schuldner als Kontoinhaber noch den Insolvenzverwalter über die Zahlungseingänge verfügen lassen. Die Zahlungseingänge unterliegen der sog. öffentlich-rechtlichen Verstrickung. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat keinen Einfluss auf die öffentlich-rechtliche Verstrickung; sie besteht bis zu Ihrer Beseitigung fort.

Vor diesem Hintergrund versuchen viele Insolvenzverwalter, den Pfändungsgläubiger zu einer Aufhebung der Pfändung gemäß § 843 ZPO zu veranlassen.
Tatsächlich war lange streitig, ob es zur Beseitigung der Verstrickung der Aufhebung der Pfändungsmaßnahme bedarf oder ob es ausreicht, lediglich die Verstrickungswirkung für die Dauer des Insolvenzverfahrens auszusetzen. In erstinstanzlicher Rechtsprechung und Literatur wurde darauf verwiesen, dass die Zivilprozessordnung die Aussetzung der Vollziehung nicht kenne und die in der ZPO vorgesehenen Möglichkeiten der Beschränkung oder Einstellung der Zwangsvollstreckung abschließend seien.

Der BGH hat mit seinen beiden Entscheidungen jedoch klargestellt, dass (zumindest) im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ein schützenswertes Interesse des Pfändungsgläubigers an einem rangwahrenden Fortbestand der Pfändung besteht. Schließlich stehe im laufenden Insolvenzverfahren noch nicht fest, ob der Schuldner die Restschuldbefreiung erlangt. Eine Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses beeinträchtige außerdem eine durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition des Pfändungsgläubigers. Während eines Insolvenzverfahrens – sei es im eröffneten Verfahren oder der Restschuldbefreiungsphase – kann die Verstrickung einer gepfändeten Forderung daher bereits dadurch beseitigt werden, dass das zuständige Vollstreckungsorgan die Vollziehung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung aussetzt; der Aufhebung der Pfändung bedarf es nicht.

Im eröffneten Insolvenzverfahren ist es Sache des Insolvenzverwalters, im Wege der Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO) für die Beseitigung der öffentlich-rechtlichen Verstrickung zu sorgen; zuständig ist gemäß § 89 Abs. 3 InsO das Insolvenzgericht. In der Restschuldbefreiungsphase ist der Schuldner antragsberechtigt; zuständig ist das Vollstreckungsgericht.

Fazit:

Die Eröffnung eines Insolvenzverfahren beseitigt nicht die durch eine Pfändung bewirkte öffentlich-rechtliche Verstrickung. Als Pfändungsgläubiger sollten Sie grundsätzlich keine Verzichtserklärung im Sinne des § 843 ZPO abgeben oder einer Aufhebung der Pfändung zustimmen, solange dem Schuldner die Restschuldbefreiung nicht rechtskräftig erteilt worden ist. Erst nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung besteht ein dauerhaftes Vollstreckungshindernis. Erst dann besteht regelmäßig kein berechtigtes Interesse mehr an der Aufrechterhaltung der Pfändung.

Rechtsanwalt Jan-Michael Lippe (Kooperationspartner Staab Verwaltung)

Rechtsanwälte-Staab-und-Kollegen-Saarbrücken