Neuigkeiten aus dem Baurecht

14.07.2022, Rechtsanwalt Dominik Jager

HOAI in der Fassung 2013 und EU-Dienstleistungsrichtlinie sowie Aufstockungsklagen vor nationalen Gerichten:

Es ist zwischenzeitlich seit längerem bekannt, dass der EuGH festgestellt hat, dass die Regelungen der HOAI 2013 gegen die EU-Dienstleistungsrichtlinie verstoßen. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 04.07.2019 (Rechtssache: C-377/17 Europäische Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland – Vertragsverletzung- Dienstleistungen im Binnenmarkt – Richtlinie 2006/123/EG-Art. 15- Art. 49 AEUV-Niederlassungsfreiheit – Honorare für Architekten und Ingenieure für Planungsleistungen) festgestellt, dass Deutschland mit den Regelungen in der HOAI über die Mindest- und Höchstsätze gegen Europarecht verstoßen hat.

Hintergrund war, dass die HOAI in ihrer Fassung bis 2013 durch ihre dort hinterlegten Preisrahmen aus Mindest- und Höchstsätzen, die als verbindlich galten, ein gesetzliches Verbot aufstellte.

Vergütungsvereinbarungen, die über den Höchstsätzen oder unter den Mindestsätzen lagen, waren nichtig und wurden durch den objektiv zutreffenden Höchstsatz (bei Überschreitung) oder Mindestsatz (bei Unterschreitung) ersetzt.

Mit der HOAI 2021 wurde der verbindliche Preisrahmen für alle ab dem 01.01.2021 abgeschlossene Verträge nunmehr abgeschafft.

In seiner Entscheidung vom 18.01.2022 hatte der EuGH darüber zu entscheiden, ob die bis zum Inkrafttreten der angepassten HOAI am 01.01.2021 dort enthaltenen verbindlichen Mindestsätze bei Altverträgen trotz des EuGH-Urteils vom 04.07.2019 weiterhin anzuwenden sind oder nicht.

Der EuGH kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass das Unionsrecht dem nicht entgegensteht. Ob dies gegebenenfalls auf Basis innerstaatlichen Rechts anders zu beurteilen sei, sei von den nationalen Gerichten und Behörden zu entscheiden. Geleichzeitig wird durch den EuGH klargestellt, dass derjenigen Partei, der die Mindestsätze weiterhin entgegengehalten werden, unter Umständen Schadensersatz vom Staat zustehen könnte.

So lautet es in der vorgenannten Entscheidung: Zitat Pressemitteilung Nr. 6/22 vom 18.01.2022 zum Urteil in der Rechtssache C-261/20:

„Obwohl der Gerichtshof bereits festgestellt hat, dass die deutsche Regelung, die Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt (HOAI), gegen die Dienstleistungsrichtlinie verstößt, ist ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anhängig ist, nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet, diese deutsche Regelung unangewendet zu lassen.
Dies gilt jedoch unbeschadet zum einen der Möglichkeit dieses Gerichts, die Anwendung dieser Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen, und zum anderen die Möglichkeit der durch die Unvereinbarkeit dieser Regelung mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, gegebenenfalls Schadensersatz vom deutschen Staat zu verlangen“
(Zitat Ende)

Mit dieser Entscheidung gab der EuGH etwas überraschend die Entscheidung über die Möglichkeit der sogenannten Aufstockungsfälle nochmals an die nationalen Gerichte zurück. Zu entscheiden war also, wie mit einer gesetzlichen Vorschrift umzugehen ist, die vom EuGH als europarechtswidrig festgestellt wurde.

Hierüber hat der BGH nunmehr am 02.06.2022 entschieden (BGH Az.: VII ZR 174/19)
Der BGH stellt fest, dass die HOAI 2013 unbeschadet des EuGH-Urteils vom 04.07.2019 gelte und daher anzuwenden sei. Ein Ingenieur verhalte sich nicht treuwidrig, wenn er sich trotz der festgestellten Europarechtswidrigkeit – auf den Mindestsatz der HOAI 2013 berufe, da diese gültige Rechtsverordnung gewesen sei.

Weiter der BGH gemäß Pressemitteilung:
„Die Dienstleistungsrichtlinie entfalte in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen keine unmittelbare Wirkung. Europäisches Primärrecht in Form der Niederlassungsfreiheit, der Dienstleistungsfreiheit oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts, die unmittelbare Wirkung entfalten könnten, stünden der Anwendung des verbindlichen Preisrechts der HOAI 2013 nicht entgegen“

Folge dieser Entscheidung wird nunmehr sein, dass viele derzeit noch nicht entschiedene sogenannte Aufstockungsklagen in der Sache auf Basis der Entscheidung des BGH entschieden werden dürften.