Bundesgerichtshof zur Haftung des Durchgangsarztes

14.01.2025, Rechtsanwalt Frederic Leutheuser LL.M.

In einem aktuellen Urteil hat der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zur Haftung des Durchgangsarztes präzisiert. Danach haftet ein Durchgangsarzt dem Patienten nicht für Behandlungsfehler, die im Zusammenhang mit der Erstversorgung bis zur Diagnosestellung unterlaufen. 

In dem zugrundeliegenden Fall war eine acht Jahre alte Schülerin gegen 15:20 Uhr auf dem Schulhof gestürzt. Gegen 17:00 Uhr stellte sich die Schülerin mit ihrer Mutter in einem Klinikum vor und wurde dort von dem beklagten Durchgangsarzt behandelt. Dieser diagnostizierte nach einer Röntgenuntersuchung eine distale Unterarmfraktur rechts mit dorsaler Abkippung. Gegen 17:00 Uhr fand ein Aufklärungsgespräch mit der Schülerin und ihrer allein sorgeberechtigen Mutter statt, da eine operative Knochenbruchsbehandlung durchgeführt werden sollte. Die Narkose wurde gegen 20:00 Uhr eingeleitet und kurz danach hat der Beklagte mit der Operation begonnen, bei der die Wachstumsfuge durchkreuzender Kirschner-Draht zur Fixierung und Stabilisierung eingebracht worden war. In der Folgezeit kam es bei der Schülerin zu Gebrauchsbeeinträchtigungen am rechten Unterarm. 

Die Schülerin hat den behandelnden Arzt im Klinikum, der selbst Durchgangsarzt ist, auf Schadensersatz verklagt. 

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass für Behandlungsfehler des Durchgangsarztes die Berufsgenossenschaft haftet, aber nicht der Durchgangsarzt persönlich. Grund dafür ist, dass es bei einem (mutmaßlichen) Arbeitsunfall Aufgabe der Berufsgenossenschaft sei zu entscheiden, ob eine allgemeine oder besondere Heilbehandlung durchzuführen sei. Darüber hinaus gehören die Erstversorgung, die im Rahmen der Eingangsuntersuchung vorgenommenen Untersuchungen zur Diagnosestellung und die anschließende Diagnosestellung zu den Aufgaben der Berufsgenossenschaft. Um diesen Aufgaben nachzukommen, sei die Berufsgenossenschaft auf die Hilfe der Durchgangsärzte angewiesen. 

Maßnahmen, die erst nach der Erstversorgung und der Entscheidung über die Art der Heilbehandlung erfolgen, fallen nicht mehr in den Aufgabenbereich der Berufsgenossenschaft. Daher haftet der Arzt, der zunächst als Durchgangsarzt tätig war, ab dann gegenüber seinem Patienten persönlich. 

In dem Fall des Bundesgerichtshofs hatte keine Erstversorgung mehr vorgelegen. Dafür hat der zeitliche Abstand zwischen der Vorstellung im Klinikum und der Operation von mehreren Stunden gesprochen. Darüber hinaus war die Operation nicht so dringend, dass sie nicht auch am nächsten Tag hätte durchgeführt werden können. 

Keine Bedeutung hat der Bundesgerichtshof der Tatsache beigemessen, dass auf dem Durchgangsarztbericht die Operation der Erstversorgung zugeordnet worden war. 

Das Urteil bietet zukünftig mehr Sicherheit, in welchen Fällen die Berufsgenossenschaft und in welchen Fällen der behandelnde Arzt dem Patienten bei einem Behandlungsfehler zum Schadensersatz verpflichtet ist. 

Einen Freifahrtschein für Behandlungsfehler hat der Bundesgerichtshof Durchgangsärzten mit dem Urteil selbstverständlich nicht ausgestellt. Denn die Berufsgenossenschaft kann den Durchgangsarzt in Regress nehmen, wenn es sich um einen vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Behandlungsfehler handelt.

Bundesgerichtshof, Urt. v. 30.07.2024 – VI ZR 115/22

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